Rede am 9. November 2018

Die folgende Rede hier ein Mitglied unserer Initiative bei der Gedenkdemonstration am 9. November 2018:

Misstraut den Grünanlagen! Dieser Satz von Heinz Knobloch gilt noch heute. Er hat ihn geschrieben über den zum Park umgewandelten jüdischen Friedhof in Mitte. Dort befand sich einst ein Sammellager, von dem aus jüdische Menschen in den Tod deportiert wurden.

Noch vorher, 1941 und 1942, war aber auch hier, an dieser Stelle, ein solches Lager. Die Nazis haben es in der großen Synagoge eingerichtet, die rund 2.000 Plätze hatte. Sie umfasste das gesamte Areal. Hier, wo heute dieses Mahnmal steht, der Spielplatz, die Grünanlagen. Misstraut ihnen, denn manchmal haben sie eine grauenvolle Geschichte.

Hier an diesem Ort wurden an manchen Tagen 1.000 Menschen zusammengepfercht. Sie wurden registriert, verwaltet, gaben ihre Kennkarte ab. Und wenn diese sie am nächsten Tag zurück bekamen, spätestens dann waren diese Menschen keine Bürger mehr, sondern rechtlose Opfer, die ihren letzten Weg zu gehen hatten.

Sie wussten dann bereits, wohin sie kamen. Riga, Theresienstadt, Auschwitz. Damals waren diese Orte nur Namen. Wir aber wissen heute, was dort geschehen ist. Viele von ihnen ahnten es auch, und so gingen manche noch in der Synagoge in den Tod, sprangen von der Empore.

Die meisten aber begannen dann ihren letzten Weg. Alte und Gebrechliche wurden mit Polizeilastwagen oder Umzugswagen zum Güterbahnhof Moabit gebracht. Der Rest lief zu Fuß, in Reihen zu je sechs Personen, 2 ½ Kilometer quer durch Moabit. Sie gingen durch die belebtesten Straßen des Stadtteils, Alt-Moabit, Turmstraße, Perleberger Straße. An den Seiten liefen Polizisten und vermutlich Gestapo-Leute. Dieser Zug war unübersehbar, er fand vor aller Augen statt. Manche Passanten lachten noch höhnisch und machten laute Sprüche. Jetzt würden die Juden kriegen, was sie verdienten.

Aber es gab auch die anderen, diejenigen, die leise mitleideten. Die vielleicht sogar Nachbarn, Freunde, eventuell sogar Verwandte in diesem Zug sahen. Sie lachten nicht.

Die Kolonne endete am militärischen Teil des Güterbahnhofs. Dort, wo heute hinter dem Discounter und dem Baumarkt die Ellen-Epstein-Straße verläuft. Die Straße wurde nach der Pianistin benannt, die im Oktober 1942 genau an dieser Stelle selber deportiert wurde. Im gleichen Zug fuhr auch der 10-jährige Gerd Rosenthal, der jüngere Bruder des späteren Showmasters Hans Rosenthal. Fast alle sind nach der Ankunft in Riga am 22. Oktober sofort erschossen worden.

Vom Deportationsbahnhof ist heute nicht mehr viel übrig. Einige Meter der Rampe nur, alles andere kam erst später. Seit dem vergangenen Jahr erinnern 20 Bäume und zwei Stelen daran, dass von dort etwa 55 Prozent der Deportationen aus Berlin abgingen. Am Anfang fuhren noch ausrangierte Personenwagen zu den KZs, später vermehrt auch Güterwagen. Und auch hier konnte die Bevölkerung alles unmittelbar beobachten.

Heute versuchen wir, daran zu erinnern. Im Jahr 2011 hat sich in Moabit eine Gruppe gegründet, die an das Schicksal der deportierten Moabiterinnen und Moabiter erinnert. Wir nennen uns „Sie waren Nachbarn“, um zu zeigen, dass die Opfer keine Außerirdischen waren, sondern mitten aus der Gesellschaft kamen. Wir sind vor allem in der Öffentlichkeit präsent. Mit Veranstaltungen, Lesungen, Plakaten, an Infoständen und natürlich unserer Website SieWarenNachbarn.de

Im Frühjahr dieses Jahres haben wir uns außerdem mit anderen Initiativen und Einzelpersonen zu einem offenen Netzwerk zusammengefunden. Unser Ziel ist es, den Weg dauerhaft zu kennzeichnen, den die Deportationsopfer damals gegangen sind. Vom Sammellager hier bis zum Bahnhof in der Quitzowstraße. Als Beispiel auch für alle anderen Wege, die damals in Berlin gegangen sind, z.B. zum Bahnhof Grunewald.

Das Netzwerk heißt Ihr letzter Weg und wer möchte, kann sich uns gerne anschließen. Unter IhrLetzterWeg.de findet Ihr eine Kontaktmöglichkeit.

Wir glauben, dass es in Zeiten der erstarkenden Rechten mehr als bisher wichtig ist, die eigene Stimme zu erheben. Nationalismus und Rassismus führt zu Ausgrenzung, zu Gewalt und damals hat es bis zum Tod von Millionen geführt. Niemand darf das vergessen.